Links 5. August 2023

Was wurde eigentlich aus Klein-Bloggersdorf

Rückblick auf die frühen Tage der deutschen „Blogosphäre“ der 2000er-Jahre.

OpenAI will crush Sarah Silverman

Überlegungen dazu, inwiefern Klagen wie die von Silverman/Golden/Kadrey gegen OpenAI und Meta überhaupt Erfolgsaussichten haben. Folgt man der Argumentation Evan Zimmermans, sieht es nicht gut aus. Das (US-)Urheberrecht erlaube die Ableitung neuer Werke nun einmal.

Das Beispiel zeigt abermals, wie kompliziert die Lage rund um die aktuellen Machine-Learning-Technologien und die daraus entwickelten sogenannten KI-Systeme ist.

I’m Luddite you should be one too

Die Ursprünge des Luddismus fallen nicht unmittelbar mit dem Aufkommen der ersten „automatischen“ Webstühle zusammen. Vielmehr war der Aufstand der Ludditen ein Kampf gegen die Ausbeutung durch Fabrikbesitzer. Dass der Begriff bis heute vor allem mit Technikfeindlichkeit gleichgesetzt wird, ist (so kann man argumentieren) eine Folge der Propaganda ihrer Gegner.

Follow me

Erstaunlich, wie der niederländisch-japanische Comickünstler Gustave Verbeek bereits 1904 das Schicksal von Twitter illustriert hat.

Zwei Panels eines alten Comics. Im ersten Bild kommt ein eigentümliches Männlein mit großem Hut aus einem Wald spaziert. Im Vordergrund ist ein zweites Männlein zu sehen, das dem ersten gleicht. Es wird auf dem Kopf dargestellt und scheint von einem Baum zu hängen. Im Vordergrund ist ein Vogel zu sehen, der einen Zettel auf dem „Follow me.“ steht im Schnabel hat.

Auf dem zweiten Panel sieht man, wie die beiden Männlein sich grimmig schauend von dem Vogel entfernen. Eigentümlicher Weise steht das eine Männlein dabei weiterhin auf dem Kopf.

„He finds her staring in horror at the ground, where, flat on his back, lies the poor little bird, the victim of some unknown hand.”
„And in his mouth the sign still says: ‘Follow me‘, but the bird has gone where good birds go, and Lovekins and Muffaroo do not care to follow.“

Die Panels entstammen diesem als Ambigramm konzipierten Comic.

Web 2023

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, dass etwas im Web kaputtgegangen ist.

The web is going through a weird phase. Twitter is allegedly DDoS-ing itself. Reddit is at war with its users and destroying communities in the process. Google search is spiraling down with results that are more and more useless. Amazon is a landfill full of crappy counterfeit products.

To make things worse, it looks like money is no longer growing on trees and many, many companies are now facing the wild reality that if you run a business, you should, hopefully, at some point, make more money than you’re spending to run your business.

In der Tat hat das Netz sich im Laufe der letzten fünf bis zehn Jahre immer mehr von dem entfernt, wofür es einmal stand. 1989 von Tim Berners-Lee am CERN ersonnen, sollte das Web ursprünglich vor allem dazu dienen, wissenschaftliche Arbeiten und Forschungsdaten so einfach wie möglich zur Verfügung zu stellen. Die ab den frühen 90er-Jahren immer mehr entstehenden privaten und gewerblichen Websites standen zunächst noch stark in dieser Tradition. Frei nach dem Motto e pluribus unum definierte das Web sich von Anfang an vor allem in der Vernetzung unterschiedlichster Text- und Mediendokumente. Ob Kernforschungsergebnis, Kochrezept oder Kermit-der-Frosch-Fanpage, die unterschiedlichsten Seiten verschmolzen im Web zu einem gemeinsamen, vermaschten Text. Nicht umsonst steht das H in http:// bzw. https:// bis heute für Hypertext.

Auch der Erfolg von Google ab dem Ende der 90er-Jahre fußt vor allem auf der tiefgreifenden inhaltlichen Vernetzung des Webs. Der ursprüngliche Page-Rank-Algorithmus, der die Google-Ergebnisse so viel besser machte als die aller anderen Suchmaschinen jener Zeit, wertete aus, wie häufig eine Seite verlinkt wurde und gewichtete danach die Sortierung. (Ein leicht auszunutzender Algorithmus, der seither in einem ewigwährenden Kampf zwischen Suchmaschinenoptimierern auf der einen und Suchmaschinen auf der anderen Seite optimiert und aufgerieben wird.)

Ab etwa Mitte der 2000er-Jahre kam das sogenannte Web 2.0 auf. Das Web wurde interaktiver und auch Menschen, die kein ausgeprägtes Interesse daran hatten, sich mit Websitebau und Serverkonfigurationen zu beschäftigen, konnten sich auf leicht einzurichtenden Blogs ihr eigenes kleines Zuhause im Web schaffen. Auch Social-Media-Dienste wie Twitter oder Facebook kamen zu jener Zeit auf und entwickelten sich schnell zu Durchlauferhitzern für die Inhalte, die auf den Websites klassischer Medien und in den Blogs veröffentlicht wurden. Auch die Diskussion verlagerte sich mehr und mehr auf diese Plattformen.

Enshittification

Leider aber erwiesen diese venturekapitalfinanzierten Dienste sich als sehr kostspielig im Betrieb. Die großen Social-Media-Dienste begannen also nach Möglichkeiten zu suchen, den Betrieb zu finanzieren und ihren Investor:innen ordentlich Rendite zu bieten. Die Plattformen mit ihren Millionen (im Fall von Facebook gar Milliarden) von Nutzer:innen als Werbeflächen zu verwenden, schien die einfachste Option zu sein.

Und damit setzte ein Prozess ein, den wir seit Januar 2023 als Enshittification kennen:

Here is how platforms die: first, they are good to their users; then they abuse their users to make things better for their business customers; finally, they abuse those business customers to claw back all the value for themselves. Then, they die.

Dieser Prozess trägt aber nicht nur dazu bei, dass Social-Media- und andere Digitalplattformen mit der Zeit immer schlechter und unbenutzbarer werden. Er sorgt auch dafür, dass die Dienste sich immer stärker vom offenen Web loslösen und zu geschlossenen Silos werden (zusätzlich bestärkt worden ist das vom Trend hin zur Smartphone-App als primärem Zugang zu den Angeboten).

Die Silobildung macht es Nutzer:innen gerade bei sozialen Netzwerken schwer, sich von den Diensten zu lösen. Die quantifizierte Reichweite, die ihnen Twitter, Facebook und Co. versprechen, existiert nur innerhalb des geschlossenen Ökosystems. Ob diese Reichweite Facebook-Freund:innen sind oder Twitter-Follower, spielt im Grunde keine Rolle.

Und Reichweite, egal ob aus finanziellen Gründen oder weil sie einfach nur dem Ego schmeichelt, ist ein guter Grund, weiter Daten in die Silos zu kippen. Das freie Web wird dadurch immer weniger sinnvoll nutzbar.

Suchergebnisse bei Google und anderen Suchmaschinen werden immer häufiger von SEO-Spam von LinkedIn, Statista und anderen geschlossenen Datenhalden dominiert. Wenige offene Seiten wie Reddit, StackOverflow und natürlich die Wikipedia machen inzwischen den größten Teil der sinnvollen Suchergebnisse aus. Aber braucht man Google tatsächlich noch, wenn es einen im Großteil der Fälle einfach zu Wikipedia durchreicht?

Seit dem vergangenen Wochenende sind Twitter-Posts und -Profile (vorläufig?) nicht mehr ohne Anmeldung zugänglich. Der Silo wurde geschlossen. Externe Suchtreffer, die momentan noch auf Tweets verweisen, führen jetzt nur noch zu einer Anmeldeseite. Wie schon zwei Wochen zuvor beim großen Reddit-Blackout haben die Suchmaschinen damit auf einen Schlag eine der größten offenen Datenquellen verloren.

Was kommt jetzt?

Wie eingangs beschrieben hat die Qualität fast aller großen Internetservices in den letzten Jahren massiv nachgelassen. Die aktuelle Krise am Werbemarkt und die Entwicklungen im Bereich generativer Machine-Learning-Modelle werden diesen Trend vermutlich weiter befeuern. Medieninhalte werden noch stärker als bislang hinter Paywalls wandern und bislang werbefinanzierte Netzwerke werden sich wie Twitter wohl weiter isolieren.

Doch dieser Kollaps kann auch die Grundlage für etwas Neues schaffen. Offene, protokollbasierte Netze wie das auf ActivityPub basierende Fediverse sind Beispiele dafür: Ein Netz aus Communitys und Einzelwebsites, das viele (aber bislang noch nicht alle) Vorzüge einer zentralisierten Plattform hat.

Aber wird das tatsächlich passieren? Schließlich gab es entsprechende Bestrebungen schon vor rund 15 Jahren. Mit Diensten wie identi.ca oder Diaspora (die beide bis heute mehr oder weniger existieren) wurden schon damals offene Alternativen zu Facebook und Twitter entwickelt. Doch der Blick zurück zeigt: Durchgesetzt haben diese Dienste sich nie.

Doch damals waren Twitter, Facebook und Co. auch noch junge, coole Services und das Web war noch nicht beschädigt. Es ist also denkbar, dass es diesmal anders läuft.

Quotebacks

Vor allem Twitter, aber auch die meisten anderen sozialen Netzwerke erlauben das sogenannte Embedding von Posts auf fremden Seiten. Wenn eine Politikerin auf Twitter ein Statement veröffentlicht, kann es auf diese Weise unmittelbar auf Nachrichtenseiten eingebunden werden. Ein Klick führt die Leser:innen dann zum Originalpost. Das führt dazu, dass dem Zitat mehr Raum eingeräumt wird, als wenn einfach nur im Fließtext steht: „Die Außenministerin gab auf Twitter bekannt …“

Solche Embeds haben im Laufe der Zeit eine neue Semantik in den schriftgeprägten Online-Medien geschaffen. Eine Semantik, die sich so nicht ohne Weiteres auf Zitate aus anderen Quellen übertragen lässt. Die großen, zentralisierten Social-Media-Plattformen, ob Instagram, Tiktok oder eben Twitter werden dadurch als wichtiger wahrgenommen als sie es vielleicht sind und sein sollten.

Quotebacks sind ein relativ einfacher Ansatz, um das Prinzip solcher Zitatblöcke auf Text aus beliebigen anderen Onlinequellen zu übertragen.

Our overal design goals are to help maintain context when composing new texts with quotes, to enable generous quotations, and to facilitate quoting all texts and voices. A bit more about these goals:

As a content creator or online writer, you can use Quotebacks to quote other people, but also to quote yourself. Not source is off limit: you can quote Tweets, YouTube, comments on HackerNews… For instance, here is a tweet of mine using Quotebacks:

Das Prinzip dahinter ist sehr simpel: Der Text wird einfach als HTML-Blockquote in eine Seite eingebunden und dann mit einem rund 100 Zeilen umfassenden Javascript formatiert. Die Zitate lassen sich mithilfe eines kleinen Plug-ins für Firefox und chromiumbasierte Browser mit wenigen Klicks erstellen und können dann in praktisch jede HTML-Seite eingebunden werden. Alternativ dazu stellt das Plug-in auch markdownformatierte Blöcke zur Verfügung – naturgemäß weniger schick, aber dafür für Obsidian und andere Notizverwaltungen geeignet. Als weitere Exportmöglichkeit bietet das Plug-in außerdem an, ein Bild der Zitatkachel zu generieren.

Das sieht dann so aus:

Das Ganze ist natürlich sehr webby und damit vermutlich nicht für jede:n das beste System. Die Loslösung von den großen, zentralisierten Social-Media-Dienstleistern könnte die Nutzung dennoch ein kleines bisschen attraktiver machen.

Ello

Ich werde kein Ello-Konto anlegen. Und ich eröffne sonst bei jedem räudigen Webdienst zwischen hier und Honolulu Accounts (große Ausnahme bleibt natürlich instagram, das ist was für hippe Kids aus dem Ghetto und solche die gerne hippe Kids aus dem Ghetto wären).
Dass ich aber Ello ignoriere, mag verwundern, berücksichtigt man dass mir das Ello-Manifesto eigentlich erstmal gut gefällt:

Your social network is owned by advertisers.

Every post you share, every friend you make and every link you follow is tracked, recorded and converted into data. Advertisers buy your data so they can show you more ads. You are the product that’s bought and sold.

We believe there is a better way.

Richtig, die Online-Services von Google, Facebook, Twitter und so fort sind zu zentralisiert und werbezentriert. Richtig, „there is a better way“.
Der allerdings besteht für mich nicht darin, sich auf ein (meines Erachtens übrigens absurd hässliches) Design zu konzentrieren. Viel wichtiger sind für mich wirtschaftliche Unabhängigkeit (wie zum Beispiel app.net sie angestrebt hat) und eine offene, potenziell dezentralisierbare Technologie. Das bietet ello beides nicht und ist zudem auch noch intransparent, was die Finanzierung betrifft.

Werbefrei und unabhängig, das kann ich auch hier.